Rechtehinweis: Bild darf für reaktionelle Berichterstattung genutzt werden.
Künstlerverein Walkmühle e.V.
Pressemitteilung zur Ausstellung »ANGST – Krisenindikator oder Überlebenstrieb?«
Der Künstlerverein Walkmühle in Wiesbaden zeigt vom 31. März bis 25. Juni die Ausstellung »ANGST – Krisenindikator oder Überlebenstrieb?« . Die international besetzte Schau zeigt Werke von 27 Künstlerinnen und Künstlern zum gesellschatlich äußerst aktuellen Thema.
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Quelle: Bill Viola: The Raft, Mai 2004, Video/sound Installation. Foto: Kira Perov © Bill Viola Studio.
ANGST – Krisenindikator oder Überlebenstrieb?
International besetzte thematische Ausstellung in der Walkmühle Wiesbaden
vom 31. März bis 25. Juni 2023
Pressevorbesichtigung: Donnerstag, 30. März um 11:00 Uhr
Ort: Künstlerverein Walkmühle • Walkmühle 1 / Bornhofenweg 9 • 65195 Wiesbaden
Vernissage: Freitag, 31. März um 18:00 Uhr
Öffnungszeiten: Di + Do 10-15 Uhr, Mi + Fr 17-20 Uhr, Sa 14-19 Uhr, So + feiertags 11-19 Uhr. Eintritt frei.
Kuratorinnen: Stefanie Blumenbecker und Christiane Erdmann
Mehr Informationen unter www.walkmuehle.net
SEB AGNEW, JULIA AUTZ, FLORIAN BACHMEIER, DANIEL BEERSTECHER, JULIUS VON BISMARCK, GÜNTHER BLAU, BÖHLER & ORENDT, SERGEY BRATKOV, RÜDIGER BREITBART, KOTA EZAWA, PARASTOU FOROUHAR, PABLO GENOVÉS, LUNGISWA GQUNTA, SWAANTJE GÜNTZEL, INK, MARKUS MATTHIAS KRÜGER, WILLIAM LAMSON, ALMUT LINDE, NINA POHL, ULRIKE VON QUAST, KHALIL RABAH, RENATE SAUTERMEISTER, BURKHARD SCHITTNY, ANNEGRET SOLTAU, ANNE SOMMER-MEYER, BILL VIOLA, HANNELORE WEITBRECHT
Im Anschluss an unseren Pressetext finden Sie einen Link zum Download unseres Pressepaketes (Text und Bildmaterial in druckfähiger Auflösung) sowie Hinweise zu den umfassenden Begleitveranstaltungen zur Ausstellung.
Für den Künstlerverein Walkmühle sind aktuelle und gesellschaftliche Themen relevant. Mit der Ausstellung „ANGST – Krisenindikator oder Überlebenstrieb“ wenden wir uns einer Gefühlslage zu, die einen großen Teil des gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurses bestimmt.
Wenn sie zur Ohnmacht wird, bedroht Angst nicht nur unseren gesellschaftlichen, sondern auch unseren individuellen, inneren und seelischen Zusammenhalt. Angst kann aber auch dazu führen, dass wir wachsamer werden, Gefahren rechtzeitig erkennen und sie abwenden, indem wir nach neuen Lösungen suchen und notwendige Veränderungen herbeiführen. Zu Beginn dieses positiven Prozesses muss jedoch eine Bewusstwerdung über die Art – und die Erkenntnis über die Ursachen unserer Ängste stehen.
Welche Aufgabe kann die Bildende Kunst hierbei übernehmen? Wie spiegelt sich das Phänomen Angst in den Werken zeitgenössischer internationaler Künstlerinnen und Künstler? Dies zu untersuchen, eine möglichst umfassende Bestandsaufnahme von Aspekten der Angst in der bildenden Kunst zu zeigen und einen Bewusstwerdungsprozess über die Ursachen und Beschaffenheit unserer Ängste anzuregen, ist Kernanliegen des Ausstellungsprojektes.
Das Thema der Ausstellung betrifft alle Teile der Gesellschaft und ist durchaus geeignet, einen gesellschaftlichen Diskurs in Gang zu setzen.
Das Phänomen der Angst ist in uns selbst und in der Gesellschaft wieder zunehmend präsent. Es führt oft zu Ohnmacht und Verdrossenheit z.B. gegenüber der Politik, zu psychischer Belastung und Krankheit, oder zu Resignation und persönlichem Rückzug. Die Angst und ihre Folgen bedroht den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dabei sind aktives Handeln und gemeinschaftliches Miteinander angesichts der großen aktuellen Herausforderungen und zur Bewältigung der teilweise globalen Krisen derzeit notwendiger denn je. Um der Angst wirkungsvoll zu begegnen, müssen wir sie individuell und gesellschaftlich erkennen und uns ihre Ursachen vergegenwärtigen. Nur dann können wir sie überwinden und ihre Ursachen wirkungsvoll bekämpfen. Für diese Erkenntnis können Kunst und Kultur – und hoffentlich auch diese Ausstellung einen gesellschaftlichen Beitrag leisten.
Quelle: Links: Julius von Bismarck: Aus der Serie »Fire with Fire« .© Julius von Bismarck, VG BildKunst 2023. Rechts: Fotografie von Julia Autz: »Slava, 2018, Minsk, Belarus«. © Julia Autz
Positionen der Ausstellung
In unserer Ausstellung „Angst – Krisenindikator oder Überlebenstrieb“, die von Ende März bis Ende Juni 2023 im Künstlerverein Walkmühle in Wiesbaden zu sehen ist, werfen wir den Blick auf vier Themenfelder, die um Angst und Ängste kreisen. Innere Welten, Blicke in die eigene Seele, Zustände von Unsicherheit, Bedrohung, und Trauma. Aktuelle politische Situationen in verschiedenen Ländern: der Ukraine, dem Iran, Palästina und Belarus. Diktatur und Faschismus auch in einem historischen Rückblick auf den Nationalsozialismus in Deutschland. Klimawandel in einprägsamen Bildern, Bedrohung durch Feuer und Wasser, Vermüllung der Meere durch Plastik, Tiere in ihrer Begegnung mit dem Menschen und als Auslöser von panikartigen Zuständen.
Innere Welten
Seb Agnew nimmt uns mit in eine Welt eigentümlicher Tableaus: Seine Fotografien zeigen erwachsene Menschen, die wie erstarrt in einer Situation verharren, die aus Kindertagen herüber gekippt erscheinen. Die Bilder stellen Fragen und suggerieren Geschichten. Können die Menschen aus ihren Kindheits-Zuständen wieder herausfinden? Sehen wir in das Innere von psychischen Störungen? Sind die Personen in einem Flashback erstarrt?
Ein anderer Künstler, der den Betrachter tief in die eigene Wahrnehmungswelt mitnimmt, ist Rüdiger Breitbart. Breitbart hat niemals Kunststudiert und sich selbst als Künstler bezeichnet. Er war Mediziner und ein künstlerischer Autodidakt. Bereits ab seinem 16. Lebensjahr erkrankte er an Schizophrenie. Seit dieser Zeit durchlebte Rüdiger Breitbart, der 1941 geboren wurde, immer wieder in Schüben einen deutlichen Realitäts- und Identitätsverlust. In diesen Phasen hat er geradezu manisch „explosionsartig jedes ihm zur Verfügung stehende papierähnliche Format bemalt.“ Mithilfe künstlerischer Mittel der Bildfindung macht Breitbart den Gedankensog, der in eine instabile, bedrohliche Welt führt sichtbar.
Die Zeichnungen von Ulrike von Quast zeigen nur Schatten von Menschen, angedeutete Figuren. Man erahnt einen Rumpf, einen Kopf, Brust oder Arme. Spuren oder Erinnerungen an Körper. Ihr Strich ist wild, kantig, suchend, erscheint manchmal emotional. In die Figuren hinein zeichnet sie an einzelnen Stellen Strichbündel, heftige Schraffuren, die regelrecht in das Papier hinein gekratzt werden. Neben weißen, grauen und schwarzen Linien setzt sie auch immer wieder das Rot ein. Es erscheinen Wunden auf den Körpern, Verletzungen und Versehrungen. Keine konkreten, erzählten Situationen. Eher affirmative Ahnungen. Gedanken und Spuren von Gesehenem. In Zeiten von Waffengewalt, Krieg und Zerstörung erscheinen die Blätter als Dokumente von Verletzlichkeit und Schutzlosigkeit. Auch und gerade, weil zwei ihrer Arbeiten den Titel „Schutzräume“ tragen.
Verletzung, Schmerz, Bedrohung und die Hoffnungslosigkeit des Krieges, des 2. Weltkrieges sind in den Bildern von Günther Blau immer wieder spürbar. Wenn Günther Blau zugemauerte Fenster malt, menschenleere Straßen, und düstere, verlassene surreale Landschaften, scheinen dies allerdings eher innere Bilder zu sein, auf denen sich Unheil drohend ankündigt oder vielleicht auch gerade wieder abzieht. Chiffren einer kalten, gnadenlosen Welt. Auch Renate Sautermeister verbildlicht innere Räume. Ihre Gemälde aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zeigen bühnenartige Tableaus. Es sind surreale Inszenierungen. Lehnen sich diese Zimmer an Psychiatrieerfahrungen an? Sind es Folterkammern? Traumbilder? Sie verdichten die Angst ausgeliefert zu sein. Eingeschlossen, ohnmächtig. Die Säle des Pablo Genoves sind von tosendem Lärm erfüllt. Wassermassen toben, rotieren in gewaltigen Wellen und Strudeln durch die Barockarchitektur prunkvoller Paläste, Bibliotheken oder Gemäldegalerien. Wir sehen einen verbildlichten Alptraum. Einen inneren Zustand des Weggerissen- und weggespült- Werdens.
Bill Violas große Videoinstallation „The Raft“ ist einer der Höhepunkte der Ausstellung. Der Betrachter wohnt einer Katastrophe bei, die unerwartet und unerklärlich eine Gruppe von Menschen heimsucht. Von zwei Seiten stürzen gewaltige Sturzbäche und Fluten auf die Menschengruppe. Die Menschen kämpfen dagegen an, erliegen aber der explosiven Kraft des Wassers, während die Flut weiter wütet. Viele werden von den Füßen gerissen, taumeln und stürzen. Als die Wassermassen nachlassen, kommen einige wieder zu sich. Bill Viola zeigt die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen: In der extremen Zeitlupe seines Videos kann man auf den Gesichter Langeweile, Desinteresse, Neugier, Ablehnung, Schock, Angst, Leid, Genesung, Mitgefühl und sogar Liebe erkennen. Es sind traumartigen Szenen - Viola selbst sagt die Arbeit sei „eine Metapher für die Welt von heute“.
Klimawandel / Antropozän
Die Bilder von Markus Matthias Krüger dagegen bleiben menschenleer. Kein Windhauch geht, alles wirkt sonderbar verlassen, beinahe friedlich. Das Grauen, das sie ausstrahlen, ist ein subtiles. Dörfer, Gehöfte, Einfamilienhaussiedlungen sind überflutet. Am Ufer eines Flusses oder Kanals türmt sich Schutt und Strandgut auf. Gebäude und Betonreste, das Wrack eines Autos. Die Fenster sind verrammelt. Markus Matthias Krüger referiert vor allem auf die Geschichte der Malerei. Seine Landschaften mit den tiefen Horizonten, die Baumgruppen und Dörfer knüpfen an die Landschaftsmalerei der Niederlande an. Nur, dass sich bei ihm die Vanitas Symbole des 17. und 18. Jahrhunderts regelrecht verselbstständigt haben. Die Natur scheint zu kippen – den Menschen zu verschlingen, zurück bleiben Wasserwüsten und Totenstille.
„Land unter“ herrscht auch bei Daniel Beerstecher und William Lamson. Beide zeigen Häuser, die von Wasser bedroht sind. William Lamsons Hütte steht in einiger Entfernung im Nebel, umgeben von einer ruhigen Wasserfläche. Beinahe friedlich, aber unzugänglich. In einer wesentlich dramatischeren Situation befindet sich das Haus, das Daniel Beerstecher auf einen Felsen gebaut hat. Dieses steht auf einem Eisberg, inmitten des Ozeans. Es verweist als Metapher auf die Situation der ganzen Menschheit. Immer deutlicher wird spürbar, wie instabil der Grund ist, auf dem wir stehen. Wie schnell das Eis taut und unmittelbar damit die Gefahr des Untergangs gegeben ist.
Nicht Wasser, sondern Feuer ist das beherrschende Element in der Arbeit von Nina Pohl. Sie spielt mit unseren Bildern von Bildern. Ihr großformatiges Bild zeigt einen Ausbruch des Vesuv, so wie ihn der norwegische Künstler Johan Christian Clausen Dahl 1826 im Gemälde festgehalten hat. Das Bild, mit dem sprechenden Titel „Ausbruch des Vesuv“ hängt heute im Städelmuseum in Frankfurt und zeigt eben das: einen der touristisch spannendsten Orte des 19. Jahrhunderts. Nina Pohl hat die 200-Jahre alte Komposition verändert und erweitert. Sie hat die Darstellung nach oben erweitert und die oberen Zweidrittel ausschließlich mit Qualm und Wolken gefüllt. Wie ein Turm steigen sie in den Himmel auf und türmen sich vor dem Betrachter. Das Naturwunder erscheint größer und spektakulärer als auf dem Bild von Dahl – nichtsdestotrotz zeigt Nina Pohl eben nicht die Fotografie eines Vulkanausbruchs, sondern eine Fotografie eines Gemäldes. Sie macht also ein Bild von einem Bild, das Idealbild eines Idealbildes – das sich im Kern um die Faszination von Schauer und Schrecken dreht und die Schönheit in der Gefahr. In ähnlicher Weise mit der Schönheit des Schreckes spielt Julius von Bismarck. Er zeigt in seiner großen Videoarbeit „fire with fire“ die magische Kraft des Feuers und gleichzeitige Schönheit von Waldbränden. Feuer hat immer einen hypnotischen Sog, der sich schon bei kleinen Lagerfeuern entfaltet. Für Julius von Bismarck stellt es ein „Tor zum Jenseits“ dar. Die große Ästhetik des Brandes zeigt sich nicht nur im Feuer selbst, sondern auch in den vielen Grau- und Schwarz-Tönen von Rauch und Dampf und den verbrannten Pflanzen, die zurückbleiben. Von Bismarck hat seine Aufnahmen mit einer hochauflösenden Kamera erzielt und er nutzt ein einfaches Mittel, um ihnen eine magisch-überraumzeitliche Dimension zu verleihen: er spiegelt sie in der Mittelachse. Durch die Symmetrie bewegen sich die Flammen entweder zur Mitte hin oder aus der Mitte heraus und hypnotisieren den Betrachter geradezu. Die Natur scheint von Urkräften durchdrungen, die aus ihr herausbrechen und uns ergreifen können. Der Waldbrand ist auch ein Synonym für das Antropozän und den Klimawandel.
Swaantje Güntzel befasst sich schon seit vielen Jahren mit der Plastik-Krise und der Frage, wie sich unser aller alltägliches Tun im großen Ganzen wiederfindet. Das Portrait ihrer Assistentin Joana folgt in seinem Bildaufbau der niederländischen Portraitmalerei des 17. Jahrhunderts. Irritierend nur, dass sich auf ihrer Brust und Bauch der Abgebildeten scheinbar Spuren von Erbrochenem finden. Tatsächlich handelt es sich dabei um Plastik-Fundstücke, die auf dem Kure-Atoll aus den Mägen verendeter Albatros-Kükens geborgen wurden. Eine weitere Arbeit zeigt kleine Plastikspielzeuge, an deren Verzehr Laysanalbatrosse im Pazifischen Ozean starben. Swantje Güntzel hat sie – gewissermaßen zurück – in einen Kaugummiautomaten verfrachtet. In ihrer neuesten Arbeit sammelt Swaantje Güntzel alte Postkarten, die Gletscher abbilden. Diese alten Dokumente zeigen die Ausdehnung, Größe und Pracht der Eiszungen, die heute rapide im Verschwinden begriffen sind. Entsprechend schneidet sie aus den historischen Abbildungen die Eiszungen aus und präsentiert die Gletscher nun als Fehlstelle, als Loch im Papier. Mit Plastik befasst sich auch Almut Linde in ihrer Serie „Mountains“. Ihre hoch aufragenden Berge bestehen allerdings nicht aus Schnee und Eis, sondern aus großen Bergen an gepresster Plastikfolie, wie sie sie auf den Wertstoffhöfen des Entsorgungsunternehmens Veolia dokumentieren konnte. Die Ballen aus Folie türmen sich wie Felsformationen vor dem Auge auf. Selten sieht man dieses Material so verdichtet, schwer und gewaltig. Die weiße Oberfläche schimmert beinahe wie Eisflächen und das Material wirkt beinahe verführerisch. Die Serie „Anger Pieces“ dagegen setzt einen anderen Schwerpunkt und leitet die Ausrichtung der Ausstellung über zu Situationen von Gewalt, Verfolgung und Tyrannei. An den 10kg schweren Tonblöcken haben Frauen ihre Wut ausgelassen. Frauen, die wegen häuslicher Gewalt Hilfe und Zuflucht in Frauenhäusern suchen. Die Skulpturen spiegeln die Gewalt, die ihre Schöpferinnen erfahren haben.
Aktuelle und politische Positionen
Parastou Forohouhar widmet ihr Leben der Aufklärung des Mordes an ihren Eltern durch das Regime in Teheran. In ihrem Werk entwickelte sie eine eigene Form des Ornaments, also der erlaubten Bildsprache des islamischen Orients. Die Ornamentik hat für die Künstlerin eine ambivalente Bedeutung, einen inneren Widerspruch. Es ist sinnlich, harmonisch und schön, folgt aber bestimmten Regeln, die sehr starr sind. In dieser starren Ordnung erkennt Forouhar eine Parallele zum totalitären Staat. In der Walkmühle sind Arbeiten ihrer Serie „Portraits“ zu sehen. Erst bei näherem Hinsehen erkennt man, dass die Figuren ihrer Bilder aus einer Vielzahl von Gewaltdarstellungen bestehen. Es wird geschlagen, ausgepeitscht, gewürgt, getreten, geschubst, bedrängt, gefesselt, hinuntergedrückt. Parastou Forouhar klagt an und sie verteidigt – die Freiheit der Kunst und die Würde des Menschen.
Annegret Soltau gilt als eine der wichtigsten feministischen Künstlerinnen in Deutschland. Sie hat als eine der ersten in den 70er und 80er Jahre „Aktionskunst“ gemacht, und diese in schwarz-weiß Videoaufnahmen festgehalten. Revolutionär war, dass die dabei mit ihrem eigenen, nackten Körper arbeitete, um innere Prozesse direkt und unverstellt zu zeigen. Als eine der ersten Künstlerinnen überhaupt hat Annegret Soltau die schwangere Frau zum Thema gemacht. Das Video „Schwanger sein“ von 1977-78 besteht aus einer 4-teiligen Performance und ist während ihrer ersten Schwangerschaft entstanden. In einer Sequenz lässt sich Annegret Soltau, nackt, in einer Ecke stehend von einer Wand auf die andere fallen. Auf den Wänden stehen die Worte „Angst“ und „Zweifel“. Sie taumelt zwischen beiden hin und her. Der schwangere Körper in der Kunst war zu dieser Zeit ein Tabu, besonders, wenn er von einer Künstlerin als Selbstausdruck eingesetzt wurde. Es wurde als zu intim empfunden und als zu peinlich beurteilt. Kritiker angesehener Feuilletons lehnten es ab eine Rezension zu schreiben oder verfassten unangenehme Verrisse.
Lungiswa Gqunta untersucht in ihrer Kunst die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Heimat Südafrika. Ihre Bodenarbeit „Lawn“ – Rasen oder Vorgartenrasen wirkt auf den ersten Blick verführerisch schön. Grün glänzend liegt eine Fläche auf dem Boden aus. Wenn man herantritt, erkennt man aber schnell, dass der „Rasen“ aus hunderten von zerbrochenen Flaschen besteht, in die eine grüne Flüssigkeit gegeben wurde. „Lawn“ von Lungiswa Gqunta ist eines der wenigen Kunstwerke, das nicht nur Angst dokumentiert oder sichtbar macht, sondern selbst erzeugt. Der grüne, unbetretbare Rasen bezieht sich auf die ungleiche Lebenssituation in Südafrika: Im Südafrika der Apartheid hatten nur wohlhabende Weiße Häuser, die mit Rasenflächen geschmückt waren. Rasenflächen, die Wohlstand repräsentierten und aufwendig gepflegt und bewässert werden mussten. Die Wohnviertel der Schwarzen, die Townships sind umgekehrt gezeichnet durch Enge, Schmutz und Gewalt. Die Flaschen in Gquntas Werken stehen nicht nur für Kapitalismus und Globalisierung, sondern erinnern auch an die Flaschen, die bei den Unruhen der letzten Jahre in Südafrika zur Herstellung von Benzinbomben verwendet wurden. Die Flaschen sind auch ein Hinweis auf den Alkohol, der der Künstlerin zufolge durch den Sklavenhandel über Europa nach Afrika kam. Das Werk ist somit eine Antwort auf das zersetzende Erbe und die sozialen Spaltungen der Apartheid.
Die Nagelarbeit von Khalil Rabah zeigt eine Landkarte von Palästina. Die Flächen, die mit Nägeln bedeckt sind, sind die sogenannten „Area C“ Bereiche – Flächen, die unter voller israelischer Kontrolle stehen. Dieses „Gebiet C“ umfasst mittlerweile mehr als 60 Prozent des Westjordanlandes und ist stark umkämpft. Es ist ein besetztes Land. Die Flächen, die unter palästinensischer Eigenverwaltung stehen, sind mittlerweile größtenteils voneinander getrennt und gleichen einem Flickenteppich. Freier Verkehr, Warenfluss, freies Wirtschaften und reisen ist für die Menschen in Area C nicht möglich. Khalil Rabah schafft ein einfaches, aber einprägsames Bild für die Lebensrealität für mehr als 5 Millionen Menschen. Die Nägel werden mit Gewalt in die Holztafel eingeschlagen, sie verletzen den Grund, auf dem sie stehen. Sie erinnern in ihrer Dichte auch an eine Menschenmenge, und vielleicht auch auf das „Wurzeln schlagen“. Identität, die gekoppelt ist mit dem Anspruch auf Land und Geschichte.
Kota Ezawa referiert auf den verzweifelten Versuch vieler Afghanen im Sommer 2021 das Land zu verlassen, nachdem die Amerikaner ihren Rückzug verkündet hatten. Am Flughafen in Kabul spielten sich dramatische Szenen ab. Bilder der Massenpanik entstanden über Handyaufnahmen und verbreiteten sich schnell. Eine Fotografie, die über die amerikanische Bilderagentur Getty Images publiziert wurde, ging als Pressefoto um die Welt: Eine Familie versucht auf das Rollfeld zu gelangen. Zwei Männer sitzen auf einer mit Stacheldraht überzogenen Mauer. Im Hintergrund weht klein die afghanische Flagge. Der linke Mann zieht ein kleines Mädchen mit einem rosa Rucksack am Arm zu sich herauf, ein Junge am Boden hat ihm das Kind nach oben gereicht. Der in Oakland lebende Künstler Kota Ezawa transformiert dieses Foto mittels digitaler Bearbeitung in seine eigene Bildsprache. Der Betrachter sieht schließlich einen Leuchtkasten, der ein digitales Bild zeigt. Die Szene erinnert an einen Comic oder einen Animéfilm. Die Geschichte des Fotos wird entpersönlicht und ikonisiert.
Das Künstlerduo Böhler und Orendt arbeitet mit den spielerischen Elementen von Pappröhren und Klebebändern. Die beiden Künstler bauen aus dem schlichten Material eine Gruppe von Raketen, die auf einem kleinen Startfeld konzentrisch angeordnet sind. Durch Papier und Pappe wirken die Objekte vollkommen harmlos und erscheinen absurd überspitzt, ja - humorvoll. Die Arbeit, die bereits im Jahr 2011 entstanden ist, hat sich selbst auf erschreckende Weise vergegenwärtigt. Diktatoren nutzen die Todesmaschinen aus Stahl und Sprengsätzen beinahe wie Spielförmchen aus einem Sandkasten. Sie werden der Welt präsentiert als verlängertes Ego, als Zuschaustellung von Macht und Einfluss, als Drohkulisse und nicht zuletzt als beliebiger Einsatz in einem Unterwerfungskrieg. Die harmlosen Pappröhren stehen stellvertretend für die Vernichtung ganzer Städte, Tod und Leid, zehntausender, ja hunderttausender von Menschen.
Sergey Bratkov musste aufgrund des Krieges gegen die Ukraine das Land verlassen. Im Exil entwickelte er die Serie „LOST“. Sie handelt von den Frauen: Sie kümmern sich um die Kinder, sie tragen die Last des Wartens, sie beweinen die Gefallenen, sie sind die Opfer physischer Gewalt, und so sind auch sie Kämpferinnen. Die Fotos sind entstanden in der friedlichen Zeit vor dem Krieg. Die schwarze Farbe, die die Bilder überzieht, versetzt sie in die neue schreckliche Realität, sie macht ihr früheres Leben bisweilen unkenntlich. In den beiden Arbeiten „Ruß“ und „Überdeckungen“, die in der Walkmühle zu sehen sind, geht es um die Raketenangriffe auf Wohngebiete in der Ukraine. Sehr oft haben die Menschen keine Möglichkeit, sich in Luftschutzkellern in Sicherheit zu bringen, deshalb halten sie sich an die tragenden Wände in ihren Häusern, die einzig noch einen relativen Schutz bieten. Man kann ein paar wenige Details noch erkennen: nackte Füße, die auf einem Teppich stehen. Eine Balkontür, vor der eine Vorhangstange hängt. Breite Blöcke aus schwarzer und grauer Farbe schieben sich davor, machen den Raum unkenntlich und kennzeichnen ihn als „lost“ – verloren. Die Heimat, das Zuhause, die Familie, die Wohnung, die Sicherheit, den Frieden, den Mann, das Kind, die Unversehrtheit.
Julia Autz ist nach Belarus gereist und hat dort Portraits angefertigt. Die Menschen, die in Belarus bleiben, müssen sich anpassen, sich in Gleichgültigkeit flüchten oder ihre Freiheit im Inneren bewahren. Passiv, desinteressiert und ahnungslos müssen sie sich mit den Regeln des Regimes arrangieren. Ihre Arbeit "While I was waiting" handelt von jungen Menschen, die diskriminiert werden, wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer politischen Einstellung oder wegen einer anderen Lebens- oder Denkweise. Selbstverwirklichung kann nur im privaten Raum stattfinden, während junge Menschen in der Öffentlichkeit gezwungen sind, sich anzupassen. Das Gefühl von Angst und Überwachung ist ständig präsent. Anstatt sich politisch zu engagieren, ziehen sich die Menschen in die Privatsphäre zurück. Indem sie sich auf ihr eigenes Leben konzentrieren, versuchen sie, der Realität fast vollständig auszuweichen. Florian Bachmeier hat in einer Serie das Konzentrationslager Auschwitz dokumentiert: Seine Fotografien sind recht nüchtern. Er zeigt in Nahaufnahme Wände und Böden, die, wenn man nicht weiß, was sie darstellen, beinahe abstrakt erscheinen. Man sieht Erde, Beton, Putz. Zu den Rändern hin verdunkeln sich die Bilder, als würden sie nur kurz aus der Schwärze gerissen und gleich wieder zurücksinken. Die geistige Zuordnung zu diesem Ort und das Wissen um die Geschichte dieses Platzes verändert sie zu einem Blick in die Hölle. Auschwitz ist ein realer Ort, nicht nur eine Aufzählung von Daten und Fakten. Auschwitz ist existent, präsent, vorhanden. Die Abertausende von Menschen, die hier gelitten haben, geschlagen, misshandelt, gedemütigt, angeschriehen und ermordet wurden, denen die Haare ausgerissen wurden, die gehungert haben, gefroren, die getrennt wurden von ihrer Familie, ihren Vätern, Müttern, Kindern, die verhungert sind, erfroren sind, im Gas gestorben, deren Körper verbrannt wurden – sie alle sind präsent an diesem Ort. Sie sind Auschwitz.
Burkhart Schittny zeigt ein konzeptuelles Bild, das fast nur aus Text besteht. In schwarzen Lettern auf weißem Grund vor rotem Hintergrund printet er einen kurzen Text auf eine Leinwand. Kantig, eckig, hart. Ein Zitat aus „Mein Kampf“. Die Kampfschrift von Adolf Hitler, entstanden im Gefängnis 1924. Der Text schildert das perverse Vergnügen des späteren Diktators, wie er Mäuse beobachtet, die sich um Futter balgen. Der Inhalt scheint banal und unbedeutend, Schittny gibt seinem Bild jedoch den passenden Titel „Henkersmahlzeit“. Die „possierlichen Tierchen“, von denen er spricht existieren jedoch nur zu seiner Belustigung, man ahnt, dass er jederzeit bereit ist, sie zu zertreten. Die menschliche Kälte, völlige Empathielosigkeit und der Vernichtungswille, der Hitler auszeichnete, wird in diesem kurzem Stück Text bereits spürbar. Burkhart Schittny lässt den Text unkommentiert stehen und für sich selbst sprechen. Anne Sommer-Meyer zeigt zwei Kinderkleidungsstücke – ein Mützchen und ein Jäckchen., wie man sie anno dazumal benutzte. Beide altmodisch in der Anmutung, passend zu einer Zeit, so um die 1920er, 30er, 40er Jahre. Vor schwarzem Hintergrund zu sehen, erscheinen beide Kinderkleider metallisch. Die Titel sind ironisch beißend mehrdeutig: „Süddeutsche Erstausstattung - Paradeuniform Schutzhelm“ und –„Paradeuniform Kugelsichere Weste (Kettenhemdchen)“ Die „Erstausstattung“ des Neugeborenen wird mit militärischen Begriffen zusammengebracht. Der „Schutzhelm“ und die „kugelsichere Weste“ verweisen auf Kampfhandlungen und Soldatentum. Gleichzeitig bringen diese Kinderkleider aber die Bedrohung der Kleinsten zum Ausdruck.
Tiere
INK hält mit spitzem Bleistift und fotografisch zwei prächtige Figuren fest: einen Torero und einen Kampfstier. Eindeutig referiert sie auf den spanischen Stierkampf, der in alter Tradition Männlichkeit, Kraft, Schönheit und Tod feiert. Heute, selbst in Spanien, als überkommenes, grausames „Altmännerritual“ heftig kritisiert, gilt er immer noch als spanisches Klischee. Der junge Torero blickt dem Betrachter frontal ins Gesicht, schaut aber eigentlich, das ist sofort klar, in die Augen des jungen Stieres. Einer von beiden wird gleich sterben. Der Stier hat eigentlich keine Chance. Nichtsdestotrotz sieht sich der junge Mann einer sehr archaischen Situation gegenüber – das Tier, ein Vielfaches an Masse und Kraft in der unmittelbaren Begegnung, bereit anzugreifen. Während der Stier recht entschlossen dreinblickt, kann man in den Augen des Mannes Vorsicht erkennen – und Angst.
Hannelore Weitbrecht hat für die Walkmühle mit ihrer Installation ein Bild erzeugt, das manche Menschen in Panik versetzen könnte: Eine Invasion von Spinnen. Sie krabbeln von der Wand in den Ausstellungsraum hinein. Bei näherer Betrachtung ist zwar schnell klar – es sind abstrakte Formen, die mit vier Beinen ausgestattet sind, statt mit acht. Trotzdem assoziieren wir sie unmittelbar mit dem Urbild von krabbelnden Tieren, die schnell und in großer Zahl auf uns zukommen. Was für den Einen vielleicht eher erheiternd wirkt, nämlich eine lebendige, ausgreifende Rauminstallation, die mit schlichten Elementen eine ausgerichtete Bewegung suggeriert, mag bei anderen körperliche Reflexe auslösen, die kaum zu steuern sind. Kleinhirn funkt Flucht. Angst, ja Panik vor Spinnen oder anderen Tieren kann starke Stressreaktionen auslösen.
Rahmenprogramm zur Ausstellung:
Sa 1.4. ab 18 Uhr: Kurze Nacht der Museen und Galerien in Wiesbaden
Die Ausstellung ist während des beliebten Rundgangs durch die Wiesbadener Museums- und Galerienlandschaft bis 24 Uhr geöffnet.
Mi 5.4. um 20 Uhr: Die Ausstellung »ANGST« aus dem Blickwinkel der Angstforschung
Podiumsgespräch mit Prof. Dr. Stefan G. Hofmann, Leiter, Stiftungs-Seniorprofessor, Alexander von Humboldt Professor, LOEWE Spitzenprofessor, weltweit führender Angst-Forscher. ANGST – Woraus besteht sie und woher kommt sie? (und was muss man tun, damit sie wieder verschwindet). Aus der Reihe »Salon am ersten Mittwoch«. Eintritt frei.
Mi 3.5. um 20 Uhr: Alina Gorlova – »No Obvious Signs« (Film, Ukraine 2018, 62 Min.)
Filmscreening und Gespräch mit der ausführenden Produzentin Oksana Ivantsiv
Aus der Reihe »Salon am ersten Mittwoch«. Eintritt frei.
Mi 7.6. um 20 Uhr: Zu Gast: Corinna Zetzsche
Im Rahmen unseres Themenschwerpunktes »Angst« berichtet die Kulturjournalistin und Vizepräsidentin des deutschen Pen-Zentrums in unserem Juni-Salon über verfolgte und unterdrückte Schriftstellerinnen und Schriftsteller
Aus der Reihe »Salon am ersten Mittwoch«. Eintritt frei.
Sa 10.6. um 20 Uhr: »Au Backe, Die Hacke, Die Spitze im Keller«
Performance von und mit Franziska Geyer im Rahmen des Themenschwerpunktes »Angst
Aus der Reihe »Salon am ersten Mittwoch«. Eintritt frei.
Downloads:
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Presseanfragen richten Sie bitte an kommunikation@walkmuehle.net
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