»In C« Sasha Waltz & Guests ©Yanina Isla

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Rechtehinweis: Bild darf für reaktionelle Berichterstattung genutzt werden.
Berlin, 05.08.2024

»Spiegelneuronen« von Stefan Kaegi. Ein dokumentarischer Tanzabend mit Publikum. Sasha Waltz & Guests mit Rimini Protokoll // Uraufführung am 14. August im Rahmen der Salzburger Festspiele // Deutschlandpremiere am 29. August im Radialsystem, Berlin


Probenbild »Spiegelneuronen« von Stefan Kaegi - Sasha Waltz & Guests mit Rimini Protokoll ©Bernd Uhlig
Quelle: ©Bernd Uhlig

(Berlin, 5. August 2024) Am 14. August erlebt die Produktion »Spiegelneuronen« von Stefan Kaegi, die erste Zusammenarbeit der Tanzcompagnie Sasha Waltz & Guests mit dem Dokumentartheaterlabel Rimini Protokoll, bei den Salzburger Festspielen Uraufführung. Wenige Tage später feiert die Produktion am 29. August Deutschlandpremiere im Radialsystem, Berlin. Mit dieser Arbeit setzt die Berliner Tanzcompagnie Sasha Waltz & Guests die Öffnung für neue Handschriften sowie ihr Interesse an künstlerischer Recherche und genreübergreifender Zusammenarbeit mit internationalen Künstler:innen zur Erweiterung ihres Repertoires fort. Aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommend, interessieren sich beide Kompagnien für die ungewöhnliche Bespielung von Räumen sowie das interdisziplinäre Arbeiten. Nun untersucht Stefan Kaegi gemeinsam mit Tänzer:innen von Sasha Waltz & Guests sowie dem Publikum das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft mit den Mitteln des Tanzes und einem großen Spiegel.

»Spiegelneuronen« ist ein Experiment. In jeder Aufführung von neuem. Es geht um das menschliche Gehirn und sein Verhältnis zum Körper. Das Publikum ist ein wesentlicher Teil des Experiments, denn es ist eingeladen, nicht nur die Entstehung von tänzerischer Bewegung zu beobachten, sondern sich auch selbst zu bewegen, von seinem Sitzplatz aus als aktiver Teil eines gemeinsamen Systems zu agieren, sich selbst als Teil einer Art großen Gehirns zu erleben.

Ein Spiegel befindet sich dort, wo normalerweise die Bühne ist. Er reflektiert nicht nur die Tänzer:innen, sondern wie ein gigantisches Selfie die ganze Tribüne mitsamt dem Publikum. So wird der Zuschauerraum zum Hauptaktionsort. Das Publikum rückt im Austausch mit den Tänzer:innen selbst ins Zentrum der Bewegungen und erlebt sich nicht nur beim »Verkörpern« von komplexen Bildern, sondern trägt selbst zur Choreographie der Gruppe bei. Über den Spiegel betrachten die Zuschauer:innen sich selbst und die anderen beim Beobachten des Versuchs, in dessen Zentrum sie sitzen.

Neurowissenschaftler:innen gehen davon aus, dass unser Nervensystem nicht zentral gesteuert ist, sondern dass die verschiedenen Bereiche des Gehirns intensiv miteinander kommunizieren, vergleichbar einem Computernetzwerk mit Algorithmen. Wie genau das geschieht, darüber kann auch die Wissenschaft bisher nur spekulieren. Immer wieder werden neue Mechanismen entdeckt. Anfang der neunziger Jahre zum Beispiel die Spiegelneuronen: Diese führen dazu, dass das Gehirn in ähnlicher Weise angeregt wird, egal ob wir selbst etwas tun oder dieselbe Handlung bei einer anderen Person beobachten. Obwohl beim Menschen schwer nachzuweisen, könnten Spiegelneuronen einen Schlüssel zur Erklärung von Empathie und gegenseitigem Verstehen darstellen.

Die dokumentarische Recherche zu diesem Abend bezieht Perspektiven aus Hirnforschung, Biologie, Soziologie und künstlicher Intelligenz ein, die das Publikum in einer Soundcollage einerseits hört, und andererseits erlebt – vielleicht sogar antizipiert oder sich entzieht. Das Verhältnis vom Individuum zum großen Ganzen lädt in diesem Theaterexperiment zu einem körperlichen Nachdenken über Gesellschaft, über eine demokratische Version eines Hyperorganismus ein.



Stefan Kaegi (Konzept und Regie) inszeniert in verschiedensten Konstellationen dokumentarische Theaterstücke, Hörspiele und Stadtrauminszenierungen, die oft wirtschaftliche Verflechtungen auf eine menschliche Komponente herunterbrechen. So tourte Kaegi mit zwei bulgarischen Lastwagenfahrern und einem umgebauten LKW durch die Welt, inszenierte in »Heuschrecken« 10.000 Insekten und in »Granma« vier kubanische Enkelkinder der sogenannten revolutionären Generation. Am Théâtre Vidy in Lausanne inszenierte Kaegi »Nachlass« mit Menschen, die nicht mehr lange zu leben haben, in »Uncanny Valley« die lebensgroße Kopie des Schriftstellers Thomas Melle als Humanoiden. Seine Audiotour »Remote X« wurde für Städte wie Los Angeles, Santiago de Chile oder Taipei immer wieder ortsspezifisch adaptiert. Zur Zeit ist im Hamburger Schauspielhaus seine »Société Anonyme« zu sehen. Gemeinsam mit Caroline Barneaud kuratiert er seit 2023 »Shared Landscapes«, performative Land-Art in periurbanen Landschaften.

Gemeinsam mit Helgard Haug und Daniel Wetzel arbeitet Kaegi unter dem Label Rimini Protokoll, das 2011 mit dem silbernen Löwen für Theater an der Biennale in Venedig ausgezeichnet wurde. So inszenierte Rimini Protokoll das Multi-Player-Video-Stück »Situation Rooms« über den globalen Waffenhandel oder das kleine transportable Gesellschaftsspiel »Hausbesuch Europa«. Im Hamburger Schauspielhaus war die Simulation einer »Weltklimakonferenz« zu sehen. In Zürich »Weltzustand Davos«. In Städten wie Montréal, São Paulo und Hong Kong inszenierte Rimini Protokoll »100% Stadt« mit 100 nach statistischen Kriterien ausgewählten Vertretern ihrer Stadt. In Manchester und Lausanne komponierte Rimini Protokoll die Stadtbegehung »Utopolis« für 48 tragbare Lautsprecher. Unter dem Titel Staat 1-4 entwickelte das Regie-Label eine Tetralogie zu Phänomenen der Post-Demokratie. Fürs Museum entwickelten die drei immersive Kunstinstallationen wie »win<>win« mit lebenden Quallen oder die begehbare Filmarchitektur »Urban Nature«. Und für die Bühne die Versuchsanordnung »Konferenz der Abwesenden«.



Spiegelneuronen von Stefan Kaegi
Ein dokumentarischer Tanzabend mit Publikum
Sasha Waltz & Guests mit Rimini Protokoll

Uraufführung
14. August 2024
Salzburger Festspiele
SZENE Salzburg
weitere Aufführungen
16. 17. 18. 19. 21. August 2024

Deutschlandpremiere
29. 30. 31. August, 1. September 2024
Radialsystem, Berlin

Bitte beachten Sie, dass im Laufe der Vorstellung stellenweise grelles Licht zum Einsatz kommt.

Es handelt sich bei »Spiegelneuronen« um ein partizipatives Theatererlebnis. Das heißt, dass es stellenweise auch zu räumlicher Nähe zu den Sitznachbarn kommen kann. Alle Zuschauenden sind im Spiegel sichtbar.

Konzept / Regie
Stefan Kaegi (Rimini Protokoll)
Dramaturgie
Silke Bake
Musik
Tobias Koch
Szenographie
Dominic Huber
Video
Mikko Gaestel
Licht
Martin Hauk
Kostüm
Sandra Tiersch
Repetition
Claudia de Serpa Soares

Tanz
Melissa Kieffer
Francisco Martínez
Dominique McDougal
Orlando Rodriguez
László Sandig
Claudia de Serpa Soares
Wibke Storkan

Mit den Stimmen von
Christina von Braun, emeritierte Professorin, Kulturwissenschaftlerin, Gendertheoretikerin, Filmemacherin
John-Dylan Haynes, Professor für Hirnforschung an der Charité in Berlin
Sarah Karim, Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Rehabilitationswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
Tim Landgraf, Professor für künstliche und kollektive Intelligenz
Nora Schultz, Wissenschaftliche Referentin Deutscher Ethikrat, freie Wissenschaftsjour­na­listin
Tania Singer, Professorin für Psychologie und Soziale Neurowissenschaften

Eine Produktion von Sasha Waltz & Guests in Zusammenarbeit mit Rimini Protokoll.
Eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, Tanz Köln und Kampnagel – Internationales Zentrum für Schönere Künste.